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Gedanken an eine Zeit voll Angst und Schrecken

Feier zum „Tag der Heimat“ im Historischen Saal des alten Rathauses

Deggendorf. Das Kulturamt der Stadt hatte zum diesjährigen Gedenktag „Tag der Heimat“ in den Historischen Saal des Alten Rathauses eingeladen. In diesem Jahr hatte der russlanddeutsche Verein „Mostik“ – die Brücke − passend zum Thema die Gestaltung des Nachmittags übernommen.

Unter den Besuchern waren viele Gäste, die einmal in Russland, Schlesien oder dem Sudetenland eine Heimat gefunden hatten, aber unter den verschiedensten Umständen nun in Deutschland, ihrer neuen Heimat, leben. Zur musikalischen Einleitung spielte Nina Russmann auf der russischen Knopfharmonika, dem Bayan, einen Walzer.

dz-merle-hilbk-2Oberbürgermeister Dr. Christian Moser begrüßte das zahlreiche Publikum, darunter einige Mitglieder des Stadtrats, die Vorsitzende des Vereins Mostik, Katharina Bakajev, Pfarrer Gottfried Rösch von der evangelischen Kirchengemeinde, die Schriftstellerin Merle Hilbk und die Gruppe „Harmonie“.

„Musik verbindet, das haben wir vor Kurzem mit der Bayerisch-Böhmischen Kulturwoche erlebt. So werden wir auch heute Musik aus einer anderen Gegend hören“, so Christian Moser. Er sprach vom 18. Jahrhundert, als die „Wolgadeutschen“ nach Russland auswanderten. Nach dem Überfall Hitler-Deutschlands wurden diese Menschen enteignet und nach Sibirien deportiert. Mit der Wende sind bisher ca. 2,5 Millionen in ihre historische Heimat zurückgekehrt. „Wir feiern heute den Tag der Heimat als Ergebnis der Integration.“

Schriftstellerin Merle Hilbk sprach in ihrem Vortrag über Themen aus „Das schönste Dorf am schönsten Fluss der Welt“, das demnächst als Buch erscheint. Sie erzählt darin die Geschichte der abenteuerlichen Reise einer Familie, die nach Russland auswanderte und deren Nachkommen späterer Generationen 200 Jahre später wieder zurück nach Deutschland kamen. Sie spricht von der Angst, dem Schrecken, dem Leiden, der Missachtung und der Entwürdigung, denen diese Generationen in Russland mit der Deportation ausgesetzt waren. Die verdrängten Traumata haben sich jeweils auf die nächste Generation übertragen. Die Autorin erzählt von ihrem Urgroßvater Alexander, der nur mit Sascha angesprochen werden wollte. Später, als er in Deutschland war, sang er, begleitet von seinem Bajan, nur Lieder, die ihn traurig machten. Das Dorf an der Wolga hat er nicht freiwillig verlassen. Er sagte: „Eines Tages werden wir wieder in die Heimat gehen.“

Merle Hilbk (Jahrgang 1969) ist freie Journalistin und Schriftstellerin in Berlin. Seit neun Jahren ist sie Reporterin für verschiedene Medien in Osteuropa und Russland. Seit zwei Jahren befasst sie sich intensiv mit dem Thema „Kriegsenkel“ und den sozialen und psychischen Folgen von Flucht und Vertreibung. Ihren Vortrag beendet sie mit einem Heimatgedicht von Alexander Wertinski, einem bekannten , russischen Barden der Vorkriegszeit: „Pesenka o nas i o rodinje.“

dz-harmonieDas Publikum bedankte sich für ihren sehr einfühlsamen Vortrag mit kräftigem Applaus. Die Gruppe „Harmonie“ (Nina Russmann, Ludmilla Semenova, Sophie Beidin, Irina Andres, Reinhold Fink und Swetlana Swobada) erfreute mit deutschen und russischen Volksliedern. Gemeinsam sang man das Schlusslied „Kein schöner Land“.

Im Anschluss wurde zu einem Stehempfang ins Foyer eingeladen, wo es Selbstgebackenes vom Verein Mostik, Tee aus dem Samowar sowie leichte Getränke gab. − ls

Quelle: Deggendorfer Zeitung, 28. 9. 2016

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