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Putin auf T-Shirts und Kaffeetassen

Was junge Leute aus Deggendorf vor kurzem in Russland erlebten – Ein Hintergrundgespräch

Mostik-Reisende im InterviewVom 21. Mai bis 2. Juni besuchten Mitglieder des Vereins „Mostik“ Russland. Unter anderem sammelten sie, wie bereits berichtet, Eindrücke in Moskau, St. Petersburg, Tula und Kasan. Am Montag sprach ein Teil der Deggendorfer Gruppe mit Karl-Heinz Baumgartner vom „Donau-Anzeiger“ über seine Erfahrungen.

Die Jugendlichen haben sich in erster Linie mit Gleichaltrigen getroffen und zum Beispiel bei einer Abschlussfeier für Abiturienten an der Schule Nr. 1100 teilgenommen. Ist das russische vergleichbar mit unserem Schul- und Bildungssystem?

Elena Roth: Grundsätzlich ist das System aufgebaut wie bei uns. Es gibt eine vierjährige Grundschule für alle, dann trennen sich die Wege, einige gehen in die folgende Mittelschule oder an eine Realschule, andere auf ein Gymnasium. Ziele sind qualifizierte Berufsausbildung und/ oder Studium. Wobei wie bei uns kein Weg eine Sackgasse darstellt, sondern nach Abschluss von mittleren Abschlüssen auch weiterführende Wege eingeschlagen werden können.

„Die Armut fand ich beeindruckend, es ist wirklich ein armes Land in vielen Bereichen“

Gottfried Rösch: Ein Hauptunterschied allerdings liegt im Lehrerberuf. Die Lehrer dort stehen viel mehr in leistungsbezogener Verantwortung als bei uns. Das sind keine Beamten, sie werden jährlich von Eltern und Schülern beurteilt. Die Bezahlung richtet sich nach Leistung und Ergebnissen.

Wie sieht denn der Arbeitsmarkt für Jugendliche aus?

Gottfried Rösch: Auffallend ist, dass es die Leute überwiegend in Großstädte und Zentren zieht, auch wenn sie weit weg wohnen, speziell nach Moskau, weil man dort ein Vielfaches von dem verdient, was auf dem Land möglich wäre. Man wohnt dort dann mit anderen in kleinen Zimmerchen und fährt vielleicht nach vier Wochen wieder zur Familie nach Hause. Der Arbeitsdruck ist enorm. Die Armut fand ich beeindruckend, es ist wirklich ein armes Land in vielen Bereichen.

Hatten Sie ein Gefühl von Unsicherheit durch Kriminalität?

Gottfried Rösch: Speziell Moskau ist eine sichere Stadt. Es gibt keinen Alkohol in der Öffentlichkeit. Ich habe mich überall sicher gefühlt, da gibt es wohl andere Gegenden auf der Erde. Ich würde mich wohl in New York oder Detroit unsicherer fühlen als dort. Von Kriminalität im Alltag war wenig zu spüren.

Elena Roth: Ich kann nur sagen, das alte System funktioniert in dieser Beziehung weiter, das ist das Gute, was erhalten geblieben ist. Die Eltern, die Klassenlehrer müssen sich um die Kinder kümmern. Das heißt, in der freien Zeit sind sie gezwungen, sich um die, sagen wir schwachen, Kinder zu kümmern, dass die nicht in die Kriminalität reinrutschen. Das müssen die auch machen.

Gibt es im Falle von Nichtbeachtung dieser Aufgabe Sanktionen?

Elena Roth: Ja, der Lehrer kriegt auch seinen Lohn danach, die Leistungen in diesem Bereich werden dabei integriert. Das heißt, wenn der Lehrer schlechte Leistungen in seiner Klasse hat, hat er wahrscheinlich weniger Geld im nächsten Jahr. Das war früher so, und nach Aussage von meinem Bekannten funktioniert das auch heute noch so.

Ein Teil von ihnen war auch in Tula auf dem Gutshof, auf dem Tolstoi gelebt hat. Wie muss man sich das vorstellen, ist der verfallen oder gibt es Privatinitiativen, die solche Kulturdenkmäler erhalten?

Valentina Gaist: Ich habe empfunden, dass es da einen richtigen Willen zum Wiederaufbau alter Kulturen gibt, ich habe das richtig gespürt. Die Leute sind richtiggehend motiviert, sich neu aufzustellen. Speziell in Tula ist mir aufgefallen, dort gibt zum Beispiel T-Shirts mit dem Aufdruck „I love Tula“ und solche Sachen. Was auch aufgefallen ist, es gibt natürlich auch McDonalds oder Burger King oder Pizza Helden, aber es gibt auch dort überall einen russischen Touch. Im McDonalds gab es Haferbrei zum Frühstück oder bei Pizza Helden so eine russische Variante.

Elena Roth: Wir waren zu viert im Bolschoi-Theater bei einer Ballettaufführung und haben für die Karten 400 Rubel, also umgerechnet circa acht Euro, bezahlt. Eine ältere Oma haben wir getroffen auf den Stufen zum Bolschoi, etwas ärmlich angezogen, aber sie sagte, es ist für sie ein Muss, ins Theater zu gehen und bei den Preisen kann sie sich das viermal im Jahr leisten, zwar nur auf einem schlechten Stehplatz, aber immerhin. Also auch von den armen Leuten wird dieses Kulturangebot angenommen.

Anastasia Müller: Man muss natürlich sehen, dass die Einkommen auf dem Land nicht vergleichbar sind mit den Moskauer Verhältnissen. Die Durchschnittsrente liegt bei umgerechnet 150 Euro. Die Oma einer Bekannten muss arbeiten, um Geld dazuzuverdienen, damit sie über die Runden kommt. Aber die Familien halten zusammen und helfen sich gegenseitig.

Elena Roth: Moskau muss man da jedoch gesondert betrachten, das ist eine gesonderte Welt. Der Staat subventioniert hier fast alles. Auch Lehrer verdienen hier ganz gut. Auf dem Land wird zweieinhalbmal weniger verdient. Viele Leute pendeln deswegen täglich mit einer Fahrzeit von drei bis vier Stunden in die Zentren, weil man dort mehr verdienen kann. Oder manche leben die Woche über in Moskau und fahren nur am Wochenende heim.

Sind die Verkehrsanbindungen gut, oder wie muss man sich das vorstellen?

Gottfried Rösch: Die Eisenbahn-Infrastruktur ist hervorragend, die Straßen, der Autoverkehr ist ein Chaos, da steht man mehr als man fährt, vor allem im Berufsverkehr.

Die gemachten Bekanntschaften und geknüpften Freundschaften wollen Sie weiterhin pflegen?

Anastasia Müller: Schon nächste Woche kommt eine Bekannte für einen Monat nach Deutschland. Wir fahren dann nach München, um sie dort zu treffen. Dann läuft die Kommunikation natürlich über WhatsApp und Facebook. Wir werden in weiteren Projekten planen, zusammenzukommen.

Gottfried Rösch: Speziell die Initiative „Glück und Frieden“ ist sehr aktiv und ist ein großer Baustein für das gegenseitige Wahrnehmen und Kennenlernen.

War die Politik ein Thema bei Ihrem Besuch?

Lena Miller: Das Interesse bei den Jugendlichen ist groß, vor allem wie scheinbar verfälscht die deutsche Öffentlichkeit die Probleme mit der Ukraine sieht. Ich war sehr erstaunt, wie man Putin dort sieht, quasi als Star.

Er ist auf T-Shirts, auf Kaffetassen und ähnlichen Dingen präsent. Man sieht das in jedem Einkaufszentrum. Er genießt scheinbar absolute Sympathie.

Brigitte Bezold: Man kann das so sehen, aber ich habe auch den Eindruck, als könnte man das auch satirisch betrachten.

Anastasia Müller: Das glaube ich nicht, die Jugendlichen sehen Putin schon positiv und fragen nach unserer Meinung. Ich habe allerdings keinen Jugendlichen mit einem Putin-T-Shirt gesehen, ich glaube, das ist mehr für die Touristen gemacht. Aber groß gesprochen wurde über Politik nicht.

„Wir haben einfach nur Freundschaften geschlossen, ganz ohne Merkel und Putin“

Wird denn über die Sanktionen des Westens gesprochen?

Anastasia Müller: Nein, grundsätzlich wurde über Politik eigentlich so gut wie nicht gesprochen. Das war ja auch nicht der Sinn unserer Reise. Wir haben einfach nur Freundschaften geschlossen, ganz ohne Merkel und Putin.

Elena Roth: Ich habe ja bei einer Familie gelebt. Da werden Nachrichten geschaut, in erster Linie, was regional passiert, die große Politik interessiert nicht stark. Was man von den Sanktionen weiß, ist lediglich, dass alles teurer wird, dass es manche Lebensmittel nicht mehr in bestimmter Auswahl gibt.

Valentina Gaist: Um hier wirklich tiefer zu gehen in den Diskussionen, dazu war unsere Reise zu kurz. Für wirklich gemütliches Beisammensein war gar keine Zeit, leider.

Wird die bedrohliche Krisensituation in der Welt dort auch gesehen und mit den Ängsten verbunden wie bei uns?

Brigitte Bezold: Darüber haben wir nicht gesprochen. Was mir allerdings aufgefallen ist, war die starke Militärpräsenz, als wir zum Flughafen gefahren sind, verbunden mit Werbeveranstaltungen für das Militär. Das kannte ich von Deutschland so nicht. Allerdings, als mich meine Tochter bei uns am Flughafen abgeholt hat, sah ich zu meiner Verwunderung auch bei uns auf zwei großen Fernsehschirmen Werbung für die Bundeswehr.

Und da dachte ich mir: Finden da Entwicklungen statt, die wir gar nicht groß wahrnehmen, aber hinnehmen müssen?

Anastasia Müller: Auf den Straßen hat man auch die Zurückkehrenden des Militärs gesehen. Dort ist es so, dass man zum Militär geht, wenn man nicht studiert. Nach der Uni darf man, muss aber nicht, Mädchen können auch, müssen aber nicht. Der Patriotismus ist sehr stark ausgeprägt in Russland.

Gottfried Rösch: Das ist auch etwas ganz Wesentliches, denn die Sowjetunion, die ja den letzten Krieg gewonnen hat und mit so vielen Toten bezahlen musste, ist zerfallen. Das Aufarbeiten dieser vielen Toten hat fast nicht stattgefunden. Der Zerfall der Sowjetunion schmerzt Russland stark, und diese Unsicherheit eines weiteren Zerfalles ist etwas Gefährliches nach meiner Einschätzung. Deswegen ist es so wichtig, dass die Menschen im Gespräch bleiben.

Quelle: Donau Anzeiger, 12.06.2015

 

 

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